Vorgestern machte mich ein Freund und alter Aachener darauf aufmerksam, dass die Luxemburger Zeitschrift “Revue”1 gerade eine Artikelserie über die Luxemburger Studenten und ihre Universitätstädte veröffentlicht und diese Woche wäre Aachen dran! Also kaufte ich mir ausnahmsweise mal wieder die Revue und las wundersame Dinge:
Für den Text (des Revueartikels) zeichnet Tina Noroschadt verantwortlich, für die Fotos Ute Metzger. Mit den beiden Aachener Studenten Michel H. und Dominique D. wollen sie sich morgens am Marktplatz getroffen haben, und es sei sehr viel los gewesen.2
Die berühmten Aachener Luxemburger
Tina erklärt irgendwann im Verlauf des Artikels, welche berühmten Luxemburger in Aachen waren:
Schon Ende des 19. Jahrhunderts waren auch zwei bekannte Luxemburger unter den Absolventen dieser Hochschule: Arbedbegründer Emile Mayrisch und sein Vetter Emile Metz.
Oh, das ist aber jemand in die Falle getappt, das ist schlecht recherchiert!
- Zwar waren die beiden Emils in der Tat Vetter und auch wirklich beide an der RWTH, aber
- Emile Mayrisch3 brachte es nicht zum Absolventen, er brach sein Studium ab,
- und Emile “Petit” Metz4 brachte zwar das Studium zu Ende, er ist aber kein bekannter Luxemburger! Tina verwechselt ihn wohl mit seinem gleichnamigen Verwandten5. vgl. Biographie Nationale “Les METZ, la Dynastie du Fer” par Jules Mersch. Die Luxemburger Nationalbibliothek hat diese Werk inzwischen online und gratis jedem Internauten zur Verfügung gestellt!6
Nun wo ich es lese: Dieses Jahr hatte mich Tinas Interviewpartner Michel H., der Präsident des AVL, mal nach “berühmten Aachenern” gefragt. Ich hatte ihm einige genannt darunter auch die beiden Emils, aber auch auf die Falle hingewiesen! Und statt eines Zeitgenossen wie Ranga Yogeshwar7 schaffen es nun gerade diese beiden verstaubten Industriellen des 19. JH in den Artikel? Geht der Mangel an Sorgfalt nun auf Michel H. zurück, oder hat Tina nicht richtig zugehört? (von selber recherchiert wollen wir mal gar nicht reden).
Der Bummelstudent
In ersterem Falle wäre das ja vielleicht Michel H.s subtile Rache, der demnach wohl ahnte, dass Tina ihn in die Pfanne hauen würde. So entlockte sie ihm :
Die Prüfungen und das Studium seien nicht immer einfach. “Eigentlich müsste ich jetzt schon im Hauptstudium sein, doch mir fehlt noch eine bestandene Klausur für mein Vordiplom.“
Also zunächst einmal ist es ausgesprochen taktlos, einen Studentenfunktionär nach seinem schulischen Leistungen zu fragen. Natürlich verlangsamt sich der Fortschritt im Studium, wenn man wie Michel H. sich sozial engagiert und so auch z.B. als Interviewpartner zur Verfügung steht und es der Revue ermöglicht ihre Spalten zu füllen!
Im Sinne gutem Journalismus wäre es durchaus gewesen, dem Leser die Bedeutung von “eigentlich” zu erläutern, zumindest jenen, die selber nicht an einer deutschen Universität studiert haben. Im 7. Semester und ihm fehlt lediglich nur noch eine Prüfung zum Vordiplom ist in Deutschland noch ein durchaus normaler Wert! Unnormal wäre er nur dann wenn man für die Einschätzung der Studienleistung die völlig unrealistische theoretische Regelstudiendauer zu Grunde legt! Diese irreführende Bezeichnung ist aber ein juristischer, kein akademischer Begriff, Zitat von Wikipedia:
Die Regelstudienzeit unterscheidet sich mitunter deutlich von der durchschnittlichen Studiendauer. So wird zum Beispiel die Regelstudienzeit für den Diplom-Studiengang Volkswirtschaftslehre an der Universität Köln mit 9 Semestern angegeben – die durchschnittliche Zeit beträgt jedoch 15,8 Semester.
Noch nicht mal 10% der Studenten schaffen ihr Studium überhaupt in der sog. Regelstudienzeit. Aber mit diesen Fakten behelligt Tina den Leser nicht! Nicht mit seinem sozialen Engagement begründet sie die Verlangsamung von Michels Studium, sondern zitiert ihn unverantwortlicherweise weiter:
Andererseits kann ich so auch noch etwas länger das Studentenleben genießen», grinst Michel verschmitzt.
um gleich allen unstudierten Eltern und Personalern ihre Vorurteile weiter zu bestätigen:
Luxemburger Studentenpartys von Freunden im nahe gelegenen Lüttich sind für den angehenden Bauingenieur eine willkommene Abwechslung vom Uni-Alltag.
Aha! Weil er also zu viel feiert und “es sich gut gehen lässt” ist er im Verzug! Das ist ja fast schon Rufmord! Zwar erwähnt der Artikel einen Onkel, der eine Baufirma hätte für die er auch schon gejobbt hat, aber vielleicht muss er sich ja trotzdem mal bei anderen Firmen bewerben, und sei es auch nur für ein Praktikum. Und wie wir leider wissen, lesen auch Personaler viel lieber Klatschgeschichten als Fachliteratur.
Warum macht sie das? Ist es die Retourkutsche dafür, dass Michel sie in den Aachener Dom geschleppt (und dort kluggeschissen) hat?
Die beiden Hochschüler führen uns weiter zum Weltkulturerbe Aachener Dom, dem bekanntesten Wahrzeichen der Stadt. Der Besuch dieses Gotteshauses mit seinem imposanten Kuppelbau gehört für Michel (…) zum Pflichtprogramm..
Denn vielleicht ist Tina Noroschadt ja identisch mit der Frau, die im SS 2001 an der Uni Kiel über Walther von der Vogelweide referiert8 hat und mag an ihre Jugendsünden nicht mehr als unnötig erinnert werden? Über das Mittelalter müsste sie demnach besser Bescheid wissen als über das 19. Jahrhundert. So schreibt sie auch noch:
Schließlich ruhen im Dom die Gebeine von Karl dem Großen, der im 9. Jahrhundert in Aachen seine Residenz errichtete und später hier auch zum römischen Kaiser gekrönt wurde.
Wieder ein Mangel an Präzision, denn der römische Kaiser wurde natürlich nie in Aachen, sondern in Rom gekrönt, auch nicht Karl der Grosse.9
Die tolle Wissenschaftlerin
Deutlich besser als Michel kommt bei Tina die Öslingerin Dominique D. aus Eselborn weg, die Beschreibung ihres studentischen Daseins nimmt gelegentlich schon mal die Züge einer Hagiographie an:
Die 23-Jährige ist begeistert von ihrem Chemiestudium (…) Die hohen Anforderungen im mathematisch-physikalischen Bereich, den Anspruch, viel Faktenwissen in kurzer Zeit aufzunehmen sowie täglich unzählige Stunden im Labor stehend zu arbeiten, hat die junge Studentin mit den braunen Locken10 fast mit Leichtigkeit erfüllt. Das Studium sei ihr eigentlich nie richtig schwer gefallen. «Mein Grundstudium bestand aus vielen Stunden im Labor und danach vielen Stunden Protokollschreiben. Mein Vordiplom habe ich mit 1,7 bestanden», erzählt Dominique, die in Ihrer Freizeit gerne mit den Inline-Skates rund um das Aachener Klinikum düst.
Da es nach Luxemburg nur ein Katzensprung mit dem Auto ist11, fährt die angehende Wissenschaftlerin mit ihrem eigenen Auto oft nach Hause. Dann steht für sie als Mitglied des Musikvereins Clervaux eine Probe und häufig auch ein Auftritt auf dem Programm.12 Die Hornistin spielt auch im RWTH-Orchester.
(…)
Die fürsorgliche Redakteurin quält die Frage “Hatte sie eigentlich gar keine Angst an einer notorischen Männerhochburg wie der RWTH zu studieren?“, was Dominique aber lobenswerterweise mit “Außerdem ist der Anteil von Frauen und Männern in der Chemie fast gleich” zurecht rückt. Die Journalistin weiss wohl nicht, dass die Probleme für Frauen in Männerberufen sich nicht bereits im Studium zeigen, sondern erst bei der Arbeitsplatzsuche und dann im Berufsleben, besonders bei Gehälter- und Karrierefragen. Vermutlich wird Dominique nachher sowieso keine Forscherin bei BASF in Ludwigshafen sondern Chemielehrerin in Wiltz. Denn angeblich mag Dominique es ohnehin lieber beschaulicher:
An einer Massenuniversität wie in Paris, München oder Berlin wäre sie sich verloren vorgekommen.
Soso: eine Hochschule an der, wie der Artikel an anderer Stelle behauptet 40.000 Studenten eingeschrieben sind, ist keine Massenuniversität? Eine Begriffsverwirrung wohl, vermutlich meinte sie “Groß- oder Weltstadt”.
Unter einem Foto von Dominique mit einer, sicher gestellten Laborszene steht:
Leidenschaft für Chemie: Die Studentin Dominique D. will nach ihrem Auslandssemester an der RWTH promovieren.
.
Was für eine klasse Frau! Der Artikel führt allerdings nicht aus, dass wegen der hohen Arbeitslosenquote bei Absolventen in dem Fach, die Promotion in Chemie inzwischen allgemein üblich ist und somit nur noch eine vergleichbare Leistung darstellt wie das schlichte Diplom in einem Ingenieurfach.
Es sieht für mich so aus, dass der Präsident der Autorin einfach unsympathisch war, derweil sie zur Geschlechtsgenossin eine überspriessende Klein-Mädchensolidarität entwickelte, als ob sie zusammen aufs Klo gingen! Wo ist da die kritische, journalistische Distanz? Einen Gefallen tut sie keinem der beiden, denn als Streberin dargestellt zu werden, kann den Ruf und die Karriereaussichten eines jungen Menschen genauso schädigen, wie die Unterstellung nicht ernsthaft genug beim Studieren zu sein. Selbst wenn sie nur zwischen den Zeilen zu finden ist.
Radfahren in Aachen
Am meisten verduzt hat mich aber, welch erstaunliche Beobachtung Tina und Ute in Bezug auf die Fahrräder machten:
Anders als in anderen Universitätsstädten trifft man in der Stadt auf ungewohnt wenig studentische Drahtesel. Kein Wunder, wegen der nahe gelegenen Eifel ist das Radfahren hier eine äusserst hügelige Angelegenheit. Auch Michel musste das feststellen und fährt seitdem lieber mit dem Bus zur Uni.
Und das auch noch in Blockschrift hervorgehoben!!? Oha! Also ich merke, ich bin wohl schon lange nicht mehr in Aachen gewesen! Zumindest zu meiner Zeit (siehe das Foto von 1988) war das Rad auch in Aachen DAS studentische Verkehrsmittel per Excellence. Ok, für uns war der Bustransport auch noch nicht gratis.
Dann muss man klarstellen, dass Aachen selbstverständlich hügeliger ist als eine Stadt wie Köln oder Karlsruhe am Rhein, oder Kiel an der Ostsee, aber keineswegs hügeliger als Esch-, Pétange oder Lintgen und erst recht nicht bergiger als Luxemburg-Stadt, wo ja inzwischen auch viele Radfahrer unterwegs sind.
Ob sie sich da nicht verkuckt hat? Welche anderen Städte hat sie im Sinn, wo hat Tina studiert? Zu meiner Zeit hiess es immer “In ganz NRW gibt es nur in Münster noch mehr Kirchen und Fahrräder als in Aachen“. Was wohl der ADFC Aachen dazu sagen würde wenn er das liest? Vielleicht nur, man sollte eine Recherche über eine Universitätsstadt ja auch nicht in der vorlesungsfreien Zeit machen!
- Webpage der Revue: http://www.revue.lu [↩]
- Es muss also an einem Donnerstag gewesen sein, dann ist am Markt auch wirklich Markt. [↩]
- Biographieskizze unter: http://www.aachen.lu/avlhistory/personen/biographien/emile-mayrisch-1862-1928/ [↩]
- Biographie Nationale über Petit Metz http://www.luxemburgensia.bnl.lu/cgi/luxonline1_2.pl?action=fv&sid=luxbio&vol=12&page=356 [↩]
- Biograpphie zu Emile Metz unter http://www.luxemburgensia.bnl.lu/cgi/luxonline1_2.pl?action=fv&sid=luxbio&vol=12&page=376 [↩]
- Link auf die digitalisierte Biographie Nationale bei der Nationalbibliothek [↩]
- Persönliche Homepage von Ranga Yogeshwar: http://www.yogeshwar.de/, Wikipediaeintrag: http://de.wikipedia.org/wiki/Ranga_Yogeshwar [↩]
- Edit 5-1-2015. Die Arbeit ist inzwischen vom Netz verschwunden. Damals war sie unter http://www.histosem.uni-kiel.de/lehrstuehle/wirtschaft/lehre/exkursion-suedwestdeutschland/vogelweide.pdf zu finden. [↩]
- in Aachen wurden dagegen die deutschen Könige gekrönt [↩]
- wie romantisch [↩]
- richtig: nach Eselborn! so um die 80 km. In einen Ort tiefer im Süden des Landes ist es deutlich weiter! [↩]
- Bei einem Mann hätte man bestimmt gemutmasst, er führe heim weil seine Mutter die Wäsche macht! [↩]