Der nachstehende Text wurde von Jean van Win in einem schweizerischen Archiv aufgetrieben, der frankophone belgische Autor konnte ihn aber nicht entziffern. Der Autor des nachstehenden Textes ist ein hannoverscher Offizier mit Namen Vom dem Horst, in meiner Datenbank findet sich ein Wappen einer Familie vom der Horst. Es hätte sich ja um das Familienwappen des gesuchten Offiziers handeln können und so ging van Win dieser falschen Spur nach. Wir kamen in Kontakt und freundeten und schnell an. Um ihm bei seiner
Forschungsarbeit zu unterstürzen habe ich den Text dann für ihn digitalisiert und teilweise übersetzt.
Diese Digitalisierung erwies sich als schwieriger als ich es gewohnt bin; nicht nur störte wie immer der altdeutsche Schriftsatz, die Qualität der Vorlage war diesmal besonders schlecht und teilweise musste ich den Text regelrecht neu eintippen. Bei einigen Wörtern bin ich mir nach wie vor unsicher, ob ich sie richtig gedeutet habe. Da der Originalautor selber niemals runde Klammern () benutzt hat, konnte ich diese verwenden um Wörter bei denen ich unsicher bin in diese zu setzen und mit einem Fragezeichen meine Unsicherheit, und teilweise Ratlosigkeit, dem Leser kenntlich zu machen.
ERSCHLOSSEN MF 630 832
Erster Teil: Hannoversches Magazin 95 tes Stück
Montag, den 25 ten November 1816;
Erinnerungen eines hannoverschen Officiers vom Landwehr Bataillon B… aus den Tagen der Schlacht bei Waterloo.
Nachfolgende Erinnerungen sind mir aus den ewig denkwürdigen Tagen der Schlacht bei Waterloo übrig geblieben. Ich glaube nicht, daß mein Gedächtniß, mich getäuscht hat. Von den. Von den ersten hier erzählten Begebenheiten war die Compagnie Zeuge, bei der ich stand. Den größeren Theil des nachfolgenden können die Offiziere bezeugen, die gezwungen waren mein Schicksal zu teilen.
Bauer (?) du führe mich! – Herr dir ergebe ich mich! – Dies große Gefühl schwelte die Brust. In ungestümen (?) Wogen schlugs gewaltig an die engen Schranken, wie die tosenden (?) Blitze (?) Dampfwolken durchzuckten, und das weite Schlachtfeld vor dem spähendem (?) Auge in fürchterlicher Größe lag. Alle Nerven, alle Muskeln spannten unwillkürlich sich, die ersten Kugeln sprangen in die Glieder.
Vorwärts! Donnerte das (ehrne?) Commando – Vorwärts ? – Ja vorwärts schau auch Du mein Geist! – Hinter dir? – Leben ist doch gar zu schön! – Verstumme (Scheue?) ! Zu dem Abgrund ewiger Schande, untilgbarer Schmach lockst du den Schwachen! Vorwärts! – Pocht nicht das Herz, jagt nicht das brausende Blut, wie wenn in ewige (Nacht?) das freundliche Licht der Augen versinken müßte, es soll ewige Schande nicht sehn. –
Halt! Und das Bataillon stand in lebloser Ruhe auf dem Hügel.
Eine weite Aussicht schloß sich auf. Starre Linien, wogende Quartiers (hier) an dem Abhang gegenüber. Zur Seite dehnten die Reihen der Kampfgenossen sich in blaue Ferne. Schwere Dampfwolken lagen auf den Regimentern. Hin und wieder zerriß der Wind den Schleier, und (schattierte?) die Ansicht. Jäher Tod sprühte aus den Batterien, Kugeln heulten durch die Luft, Bomben zerwühlten den Boden. Der General auf seinem Schlachtroß hielt in eisiger Ruhe da. Kugeln zischten in das (Bataillon?). Versteckt in dem Korne vor uns lagen französische Jäger, und handhabten glücklich ihr großes Waidwerk. Wer? Die erste Compagnie rief (gebührend?) der Major. Und fröhlich, der (?) Ruhe entflohn stürmten sie jubelnd auf den verschlagenen Feind. (So?) brausend der Gießbach ins Thal, wenn plötzlich der Damm bricht, der ihn aufhielt.
Für junge Soldaten hat die Schlacht wenig Schrecken, wenn sie Kolben und Bajonnet nach Herzenslust gebrauchen dürfen; eher eine (bessere?) Prüfung ists, wenn (fernab?) treffende Kugeln in die (massigen?) Glieder schlagen. Wie Abendroth (glühen?) einige (G ?), aus andern war das Blut verschwunden, um im Herzen desto höher zu (stechen?)! Der junge Soldat wird sein Schicksal in dem (Wissen?) der Offiziere lesen, und viele schöpften Muth aus dem (reinen?) zugigen Blick des Majors. Leise hörte ichs um mich flüstern; Es waren Gebete. Mein Gott, meine Mutter! Seufzte der eine; Vater unser, der du bist im Himmel! Der andere: Segne uns Gott die Speise, ein gänzlich (Ber?)
Endlich wurden wir frei gegeben, um die erste Compagnie abzulösen. Die zweite Compagnie, bei der ich stand, eilte vor als wäre sie dem Kerker entsprungen. Wir fanden schon ein gut Stück Arbeit gethan. Die Voltigeurs waren aus dem vor uns liegendem Felde vertrieben, durch eine Hecke gejagt, und hatten sich hinter einer zweiten gesetzt, die durch eine Wiese von der ersten getrennt war. Wir feuerten eine Zeit lang auf einander. Die dritte Compagnie war zu uns gestoßen, auch eine englische leichte Compagnie focht mit uns. Ungefähr 400 Schritt rechts von uns, zog ein Trupp von der feindlichen Seite durch die Hecke. Wegen des hohen Korns konnte man sie nicht genau erkennen. Die Engländer zogen sich zurück, und wie der Erfolg (zeigte?), hatten sie recht gethan. Ich schätzte die Zahl der feindlichen Bajonnette, die ich blinken sah, auf 50. Ich glaubte sie überwältigen und zum Theil gefangen nehmen zu können. Doch blieb es ein (Wagnis?), denn der feindliche (Kugelregen) musste quer durchschnitten werden. Ich sah die Gemüther der Soldaten im Streite erhitzt: Sie glühten vor Kampfeslust. Mein Entschluß war gefaßt. Ich haranguierte für einige Secunden, und schloß mit dem Aufruf: Wer ein braver Soldat ist, folge mir nach!
Ich sah mich an der Spitze eines Zuges, zahlreich genug um mich mit 50 Franzosen zu messen. Doch waren wir die schwer bepackten Soldaten durch den langen Marsch von Brüssel her, und den Kampf in brennender Sonnenhitze, zu sehr ermüdet, als daß der Angriff hätte laufend geschehen können. Überdem hinderte das Korn, von solcher Höhe, daß kleine Leute darin unsichtbar wurden. Um den Muth meiner Freiwilligen zu erhalten, und mich ihnen immer bemerkbar zu machen, trug ich mein Tschako hoch auf der Säbelspitze voran.
Diese Augenblicke zähl ich unter die glücklichsten meines Lebens. Eine solche Gelegenheit sich auszuzeichnen, bieten sich wohl in mehr wie drei Schlachten einem Subalternofficier in der Linie nicht dar. Einem glücklichen Erfolg sah ich mit Gewißheit entgegen. Meine Phantasie zeigte mir ein Häufchen Gefangener, [die] ich meinem Cheff überlieferte. Die Kugeln die um mich pfiffen, hörte ich in meiner Wonne nicht. Der Anblicke einiger der Meinen, die ich fallen sah, hob mein Herz noch höher; ich fühlte mich schweben zwischen Tod und Leben, und beides war mir ein Spiel. Ruhm war das Einzige, wonach meine flammende Seele dürstete, und einer schmeichlerischen Ahnung trauend, schlürfte ich ihn im voraus in süßen Zügen.
Aber der Mensch denkts – und Gott lenkts! –
Jetzt hatte ich den Feind mit dem Bajonnet erreicht. Meine Gefährten ganz wie ich es erwartet hatte, stürmten darauf hin, wie der (hungerige?) Löwe auf seine Beute. Ich hielt mich des Sieges gewiß, als sich plötzlich der Hinterhalt eines französischen Voltigeurregiments im Korn von der Erde erhob, und uns einschloß.
Wer nie im Schlachtgedränge war, kann sich von dem Gemüthszustande eines Mannes gegen Mann um Tod und Leben keinen Begriff machen. Alles Denken, alle Empfindungen verschlingt die (wütende? Wachsende ?) Begierde seinen Feind zu Boden zu schlagen. Alle Muskeln des Gesichts sind verzerrt. Die rufende Stimme hört er selten, und leichte Wunden fühlt er nicht. In dieser Stimmung waren meine Gefährten, wie sie sich übermannt sahn. Nirgends ein rettender Ausweg! – Die Verzweiflung zuckte in allen Mienen. Abgebrochene Flüche stockten zwischen den Zähnen. Niemand hörte ich beten! – Einem Officier, dem Lieutenant W. hatte die Kugel den Tod gegeben. Ich drängte mit 24 Mann zusammen, um irgendwo durchzubrechen: allein in dichten Reihen stand der Feind! Die Meinigen fielen nacheinander, die Waffen in der Hand. (Viele?) standen noch, die andern krümmten sich am Blut befeuchteten Boden. Unsere Patronen waren verschossen. Die Soldaten schlugen mit dem Kolben, das war ihnen lieber aus alter (erdenklicher?) Gewohnheit, trotz meinen Ermahnungen das Bajonnet zu brauchen. Ein französischer Offizier sprang auf mich ein, wir kamen mit dem Degen an einander. Einer seiner Soldaten hielt mir den Gewehrlauf vor die Brust, aber er hinderte ihn, und in demselben Augenblick streckte mich ein Kolbenstoß auf den (-sic-) Rückgrad zu Boden. Man sah mich fallen. Ich wurde nachher von den Unsrigen in die erste Liste der (Toten?) gesetzt.
O wie schrecklich war ich von der Höhe meiner Erwartungen in die Tiefe gestürzt. Das Feuer in meiner Brust war mit einem Schlage erloschen, und in den ersten Secunden trat eine dumpfe Fühllosigkeit an seine Stelle. Ein Sergeant und zwei Mann führten mich ab von diesem Unglücksplatze. Der Gedanke, was wird der Major. Was der Oberst denken, daß du dich hast fangen lassen, (fing?) an mich zu peinigen. Der ganze Feldzug, (vielle ?) Jahre lang ist dir verlohren! Schlachten werden geschlagen werden, und du sitzt, ein elender Gefangener, in (ungehöriger?) Ruhe da! Meiner Plane (-sic-), meiner kühnsten Wünsche Erfüllung versprach dieselbe versprach dieselbe Viertelstunde, die jetzt meine goldne Bahn mir blutig zerschlagen!
Doch bald begann der Schmerz in bitteren Empfindungen sich aufzulösen, Ich hatte die Hecke erreicht, wo hinein wir früher (gesessen?) hatten. Bei dem Anblick der ringsum zerstreuten todten und verwundeten Feinde, durchflog mich eine heimliche Freude. – So sehr kann der Mensch bei der Blutarbeit in der Schlacht alles menschliche Gefühl (zertreten?)! –
Ich mußte die französischen Linien passieren. Immer neue Transporte, besonders Cavallerie, zogen die Straße herauf. Wie wilder Jubel (rollte? / hallte?) das Vive l’Empereur! Durch die Reihen. So viel ich von der Stimmung der französischen Armee urtheilen konnte, schien es mir, als wenn niemand einen vollständigen Sieg bezweifelte. Mit Dunkelwerden erreichte ich einen Meierhof, anderthalb Stunden vom Schlachtfelde, wo ich einer Wache übergeben wurde.
So mir selbst überlassen, in einer dunkeln Kammer, umgeben von einigen zwanzig gefangenen und verwundeten Hannoveranern und Engländern, fühlte ich das ganze Gewicht meiner drückenden Lage. Ich entwarf (Bilder?), wie ich mich der Gewalt meiner Wächter entziehn wollte, aber nirgends winkte nur wahrscheinliche Rettung. Ich wurde in meinen Projecten gestört durch die Ankunft eines Officiers von meinem Bataillon, den Fähnrich K., der mein Gefährte im Kampf gewesen war, und auch jetzt mein Schicksal theilen mußte. Ein trauriges Wiedersehn, doch tröstlich für uns beide. Der Schlaf, ein Engel der Leidenden, schloß auch uns in die Arme, bis die Strahlen der Morgenröthe, und der Lerm (-sic- ) in der Wache uns weckten. Mein erster Blick auf die Straße fiel auf einen zweiten Officier von meinem Bataillon, den Fähnrich P. der ebenfalls gefangen vorbei transportiert wurde. Ich rief ihn an. Man gestattete ihm zu mir zu kommen. Er hatte mit dem Officier, der schon bei mir war, gleiches Schicksal gehabt. Ein Voltigeur brachte mich auf mein Anliegen in den Hof, um Wasser zu suchen (-sic- ).
Ein artiges Mädchengesicht sah durch die Thür des Nebengebäudes, Ich bat sie um Wasser und etwas Brod. Wasser versprach sie mir, aber das Brod habe ihr Vater den Franzosen gegeben und wenn noch etwas da wäre, so gehöre auch das ihren Freunden. Ich besann mich in diesem Augenblick, daß mein Gesicht noch unter einer Kruste von Staub und Pulverdampf begraben war. Deshalb sagte ich ihr kein Wort (mehr?/weiter?), nahm das Wasser und wusch mich. Gesprächsweise erzählte ich ihr, ich sey ein Hannoveraner, habe das Unglück gehabt, in der Schlacht gefangen worden zu seyn, und nun stände mir bevor, ins Innere von Frankreich transportiert zu werden ; doch wäre mir wegen meines Schicksals nicht sonderlich bange, weil ich die Franzosen als menschenfreundliche Nation kenne, besonders sollten die Frauenzimmer, wie in meinem Vaterlande das Gerücht sage, sich durch Zartheit der Empfindungen und Güte des Herzens auszeichnen. Je länger ich ihr ins Auge sahe (-sic-), desto fester überzeugte ich mich, daß diesmal Fama nicht gelogen hätte. Ich hatte kaum geendigt, und sie bot mir Brod, Butter, und Branntwein. Mein Voltigeur lachte, und aß und trank mit. Im Verfolg der Rede erhielt ich noch so viel von ihr, daß die bieden andern Officiere und sämtliche Gefangne ein reichliches Frühstück bekamen.
Wir traten unter hinreichender Bedeckung unseren Marsch nach Charleroi an. Obgleich ich über die französische Gefangenschaft keineswegs Klage führen kann, so litten wir doch viel durch das Schimpfen und die Neckereien der Vorübergehenden. Besonders zeichnete sich hierin ein betrunkener Grenadier Sergeant aus, der sich uns anschloß. Er trug den linken Arm wegen einer Wunde in der Binde, und mit dem Säbel in der rechten Hand vagierte er uns über den Köpfen herum. Auf mich hatte er wegen meiner Größe, und der Verachtung, womit ich ihn ansah, besonders sein Augenmerk gerichtet. Er muthtete mir zu, ich solle vive Napoleon rufen. Ich hätte das leicht thun können: allein der Kanonendonner hinter mir, mahnte mich ununterbrochen an die Thaten meiner Landsleute und ihrer Verbündeten, darum wollte auch ich mich durch keine Handlung erniedrigen, wodurch ich mich ihrer unwürdig zu machen glaubte. Den Sergeanten brachte meine Weigerung so in Harnisch, daß er einige Mahl (-sic-) brüllte foudre! Sich mit der geballten Faust vor den Kopf schlug, foudre! Indem sprang er auf mich ein, und wollte mir mit einem Säbelstich das (-sic-) garaus machen. Ich aber parierte seinen Stoß , und schleuderte ihn einige Schritte seitwärts an den Chausseegraben. Dem Sergeanten, der die (Gruppe?) commandierte, rief ich zu: wenn er mich nicht gegen Thätlichkeiten schütze, so würde ich ihn bei dem nächsten General oder Commandanten verklagen. Ich wusste, Napoleon hatte befohlen, die Gefangenen gut zu behandeln, denn er hatte bekannt machen lassen : die Belgier, die Hannoveraner, und Braunschweiger, die sich unter seiner Herrschaft so glücklich befunden hätten, stritten mit dem größten Widerwillen gegen ihn, und hofften auf die Franzosen, wie auf ihre Befreier. Der wachhabende Sergeant nahm mich nachher in Schutz, und litt nicht wieder, daß mir jemand nahe kam, der nicht zur Bedeckung gehörte. So erreichten wir glücklich Charleroi, wo wir in deinem eingeschloßnen Hof gebracht wurden, worin schon 500 Gefangene, Belgier und Preußen sich befanden. Ich ging zu dem Commandanten, wo ich bewürkte (sic), daß die Verwundeten unter den Hannoveranern, die bei mir waren, ins Hospital gebracht wurden. Dadurch waren sie eines beschwerlichen Marsches überhoben, den die preußischen Verwundeten machen mußten, und wurden schon am andern Tage von den Verbündeten wieder befreit. Ich selbst und die beiden Officiers, bekamen Quartier bei einem Bürger, und einen Voltigeur zur Wache.
Der Regen goß in Strömen herab. Den Kanonendonner dämpfte die schwere Luft. Im dumpfen Hinbrüten versunken, saß ich in der Ecke meiner Kammer. Jetzt verwünschte ich mein Unternehmen in der Schlacht, dann wieder dachte ich mit Lust an einige Augenblicke desselben. Lange Reihen Verwundeter fuhren an meinem Fenster vorüber. Franzosen schwuren, die Schlacht sey gewonnen, der größte Theil des (Continents?) wäre verloren. Ich konnte mir nicht denken, daß der Höchste (abermals) solchen Jammer über mein Vaterland verhängen würde, Eine (plötzliche) Unruhe jagte mich aus einem Winkel in den andern. Eine qualvollere Nacht habe ich in meinem Leben nicht durchgemacht. Der Morgen brachte mir etwas Trost. Neue Blessierten-Transporte sah ich kommen, und neue Verstärkungen dem Schlachtfelde zumarschieren. Ich hörte, die Schlacht habe wieder begonnen. Die Franzosen behaupteten nicht mehr mit solcher Zuversicht den errungenen Sieg. Ich schöpfte freier Athem. Gegen Mittag wurde uns angekündigt, die Gefangenen sollten auf den Marsch nach Beaumont, einem französischen Städchen. Um zwei Uhr Nachmittags wurde die Colonne gestellt, die Blessierten vorn, die Gesunden hinten. 9 bis 10 preußische Officiere waren mit uns. Auf den Anhöhen vor der Stadt hörten wir deutlich die Kanonade. Einige alte Artillerieofficiere, die den ganzen vorigen Krieg mitgemacht hatten, versicherten, nie etwas ähnliches gehört zu haben. Die Kanonenschüsse folgten sich mich solcher Schnelligkeit, als wäre es kleines Gewehrfeuer. Wir alle schöpften Muth und gute Hoffnung.
In der Nacht erreichten wir Beaumont. Der Commandant empfing uns, um uns zu mustern. Er wollte die Officiere mit den Soldaten in einen Hof sperren. Ich stellte ihm vor, das sei nicht Kriegsgebrauch. Er entschuldigte sich, daß im Städchen alles voll gestopft, und durchaus kein Platz da sey. – Doch ja, ich kann ihre Bitte gewähren. Wir wurden von den Soldaten getrennt, und in eine hell erleuchtete Kirche gebracht. Beim Eintritt in dieselbe wünschten wir uns zu den Unsrigen zurück, denn sie war gedrängt voll französischer Blessierter. Ich lehnte mich an eine (Seule? Altmodisch für Säule?) um nachzudenken was hier zu thun sey. Das Gewimmer der Blessierten, durchbrochen von dem gellenden Geschrei der Wärterinnen und Wärter, weckte ein Gemisch von Mitleid und Unmuth in meinem Herzen. Der jammervolle Zustand, das Aechzen dieser tausend Leidenden, hätte gewiß Mitgefühl in die härteste Brust geimpft! Ich fühlte zum ersten Mahl wieder, wie glücklich ich sey, meine Gesundheit behalten zu haben. Ich dankte Gott, und gelobte mir alles standhaft zu tragen, was mir auch noch begegnen möchte. Mit vollkommenster Resignation fügte ich mich in meine Lage, und suchte wie ich sie verbessern könnte. Meine nothwendigsten Bedürfnisse waren Brod und Schlaf. Ersteres hier ohne Geld zu bekommen, war eine Preisaufgabe. Alles was ich in der Schlacht von Werth bei mir hatte, gab ich dem Sergeanten, welcher mich nach Charleroi transportierte, in Verwahrung, welches mir derselbe sehr zudringlich rieth, weil seine unbescheidenen Camaraden es mir sonst abnehmen würden. Dabei ists geblieben bis auf den heutigen Tag, wenn nicht ein höflicher Preuße ihn wieder seiner Sorge überhoben hat. An meine Seule gelehnt, sah ich die Wärter und Wärterinnen, die aus der niedern Volksklasse des Städchens gewaltsam requiriert worden waren, an uns (?) an mir vorüber gehen. Unter ihnen bemerkte ich ein munteres Mädchengesicht. Ich redete sie an, und (geschwätzig?) wie Französinnen sind, blieb sie augenblicklich stehn, um sich von ihren Mühseligkeiten etwas durch eine (behende/gelinde?) Zungenmotion zu (empfehlen?), Ich gab ihr meine Bewunderung zu erkennen, über den (Patriotismus?) und den aufopfernden Eifer der französischen Damen, (Noth?) der leidenden Menschheit zu (mindern?) daß sie selbst, wie jetzt mir meine Augen sagten, sich nicht durch den zartesten Körperbau abhielten liessen, die schöne aber schwere Pflicht Kranke und Verwundete zu pflegen, so willig zu erfüllen. Ach mein Herr, erwiederte sie: sie würden nicht (erstaunen?), wenn sie wenn sie müßten, mit wie gefühlvoll (?) (freundliche/französische?) Herz schlägt! (Ich?) diesmal wohl nur gefühlvoll für (die?) (?) des Commandanten! Doch ich ließ den bösen Gedanken nicht über die Zunge springen. Aber mein Herr, wer sind sie? Woher kommen Sie? Wohin wollen Sie? Ich hatte kaum angefangen zu antworten, und unzählige neue Fragen (?) meine Rede. Bei der letzten, ob ich zu Abend gegessen (hätte?) hielt ich sie fest. Ich gab zu verstehen, daß gerade diese (Kleinigkeit?) es wäre, due nur nächst ihrer Unterhaltung die größte Freude machen würde. Einen kleinen Fingerzeig auf meine Cameraden verstand das Mädchen, und kurz nachher erquickte es uns alle mit Suppe und Brod. Ich drückte ihr mit (glücklicher?) Dankbarkeit die Hand; sie schien sich zu freuen über ihr gutes Werk. Ich beschloß nach meiner kurzen Erfahrung, im Fall meiner Gefangenschaft sich in die Länge ziehen sollte, mich in Augenblicken der Bedrängnis nur an Individuen des schönen Geschlechtes zu wenden, deren sanfte Züge wohlwollende Empfindungen verbürgen. Jetzt sehnte ich mich nach Ruhe und Schlaf. Doch den konnte mir das Mädchen nicht geben, obgleich sie sich erbot, mich in ihrem Hause unterzubringen, nebst einigen meiner Camaraden; die Wache wollte es nicht gestatten. Ich sah mich in der Kirche nach einem leeren Plätzchen um, und bemerkte, daß es unter dem Thurm nicht erleuchtet sey; dahin wandte ich meine Schritte. Ich fand etwas Stroh, und säumte nicht nicht mich niederzulegen. Mit dem Fuße stieß ich an etwas, das mir wie ein Bein vorkam. Ich untersuchte meine Nachbarschaft, und überzeugte mich, daß um mich herum Leichnahme lagen, die man aus der Kirche dahin geworfen hatte. Jeder Lebende, wenn er auch die Todten nicht fürchtet, hält doch ungern Gemeinschaft mit ihnen. Auch ich hob mich auf und davon, theilte meinen Camaraden die Entdeckung mit und wir hielten uns (?) von dem (?). Eine Stufe am (Altar?) (diente?) (uns?) für diese Nacht zur (Bettstatt?).
(Der Schluß folgt.)
Zweiter Teil: Hannoversches Magazin 96 tes Stück
Freitag, den 29ten November 1816;
Erinnerungen eines hannoverschen Officiers vom Landwehr Bataillon B… aus den Tagen der Schlacht bei Waterloo.
(Schluß)
Kaum mochte der Tag im (purpurnen?) Morgengewande am Horizonte aufsteigen, als auch wir zum Abmarsch gerufen wurden. Es war der 19te Junius. Ich bemerkte ein eiliges Hin- und Herrennen der französischen Militairs; das fiel mir nicht auf, denn in Charleroi hatte ich ein Ähnliches gesehen, aber ihr heimliches Flüstern, statt wie früher gehörten lauten Prahlens, macht mich neugierig. Fragen, wie ich wohl wünschte, durfte ich nicht. Vor dem Thor sah ich einige sehr beschmutzte und beschädigte Kanonen und Wagen, die Deichseln nach Frankreich gewendet, in größter Unordnung stehn. Einzelne Officiere und Reiter jagten an unserer Colonne vorbei. Das waren uns glückliche (Boten?) – Freude verbreitete sich unter den Gefangenen. Wir hatten Mühe die Leute zu bewegen ihren Jubel nicht laut werden zu lassen. Die Flüchtlinge wurden immer häufiger. Einen Trup (-sic-) von ungefähr 20 Officieren von verschiedenen Regimentern, sahn wir im Gallopp hinter uns hergesprengt kommen. Kaum hatten sie uns erreicht, so schrien einige unserer Bedeckung Napoleon! Mon Dieu, Napoleon! Mir bebte das Herz vor Freude. Ich sah ihn an der Spitze auf einem schwarzen Engländer zusammengebückt, mit einer kleinen Reitpeitsche und Spornen sein Pferd unermüdlich vorwärts treiben. Es war ein merkwürdiger Anblick! Dieser Mann, den ich im höchsten Glanze menschlicher Hoheit gesehen hatte , der mit einem Worte Millionen Nacken beugte, der Schrecken vieler Länder und Königreiche, dieser selbe Mann jagte jetzt, ein heimathloser Flüchtling, an mir vorüber ! – Ich sah ihm lange nach !- Auf den Trümmern Carthagos, der stolzen Roma bis in den Tod gehasste Feindin weinte der edle Scipio. Mich durchflog ein schauriges Gefühl bei dem Anblick des Sturzes dieses ungeheuren Mannes; dann dankte ich Gott für die Rettung meines Vaterlandes.
Der französische Capitain, der den Transport commandierte, zog mich etwas gewaltsam hervor aus meinem (Traumreiche?). Alle seine Leute hatten die Tornister weggeworfen. Er commandierte zum Laufen. Die vorderen Gefangenen reifen, wir werden doch vor unseren eigenen Leuten nicht laufen? Allein die letzteren bekamen (leichte Schläge?) mit dem Bajonnet, diese drängten vor, und nun (trabte?) ein wenig (Ri?) die ganze Colonne wie ein Cavallerieregiment. Der Capitain versicherte, wenn jemand zu desertieren versuche, er würde ihn gleich erschießen lassen. Nach einer Stunde erreichten wir einen Tiefen reißenden Waldstrom. Eine Brücke führte uns über denselben. Wir gingen an den Abhang eines Hügels mit (Gehölz?) bedeckt, und an dem Fuße von dem Wasser bespült, hinauf.
Ich hatte mich ans Ende der Colonne zurückgezogen. An beiden Seiten marschierten die Schildwachen, hinter der vorletzten ging ich. Die Anhöhe war überaus schlüpfrig, und machte das Steigen beschwerlich. Ich sah die letzte Schildwache gleiten und fallen, und in demselben Augenblick flog ich mit Blitzes Schnelle ins Gebüsch. Wie ich nachmals von den beiden anderen Officieren meines Bataillons hörte, die 50 Stunden hinter Paris in Tours an der Loire sich von den Franzosen entfernten, so wurde meine Abwesenheit erst einige Stunden später bemerkt. Ich war ungefähr 60 Schritt im Gebüsch vorgedrungen, da legte ich mich auf die Erde, um zu lauschen ob man mich verfolgte. Ich hörte nichts wie das Rufen in der Colonne, das auch allmählig verhallte. Freier schöpfte ich Athem. Ich hätte hüpfen mögen, wie über mir der Vogel in den Zweigen. Freiheit, köstliches Geschenk! Wer dich entbehrt, scheint weiter nichts auf Erden zu bedürfen! Und doch so wenig hoch geschätzt von dem, der immer dich besessen. –
Ich hörte es rauschen im Gebüsch, Männer hörte ich kommen – Sind es Franzosen, und sie finden dich hast du zum letzten Mal auf dieser schönen Welt dich umgesehen! – Auf einen Kampf konnte ich nicht rechnen, denn keine Waffe stand mir zu Gebot- – Für einen Säbel hätte ich alles hingegeben, in der Hitze des Gefechts würde ich weniger meinen Tod empfinden! – Aber so – wie ein Gerichteter zu sterben – keine Gegenwehr, keinen Schutz wie die Verborgenheit – ein rauschend Blatt konnte mich verrathen- das war eine Lage, wo wohl einem Muthigeren als mir als mir das Herz in starken Schlägen pochen würde! O himmliche Musik! Die deutsche Sprache hörte ich sprechen! –
Wie mir in diesem Augenblick, so mag dem Alpenwanderer zu Muthe seyn, der vergraben unter einer Schneelawine, zum ersten Mal der Sonne goldenes Licht erblickt! –
Es waren einige preußische Gefangene, die lieber das Höchste hatten wagen wollen, als länger in des (verhaßten?) Feindes Gewalt zu leben. Die baten mich sie anzuführen, wo einer bliebe, wollten alle bleiben. Ein Musketier hatte noch ein Messer; ich ließ ihn schwere knotige Stöcke schneiden, womit wir alle uns bewehrten. Dem Jäger befahl ich in die Spitze eines Baumes zu klettern, um zu sehn, wie es auf dem Felde aussehn würde. Da kommen welche die Chaussee herauf gesprengt! Auch welche zu Fuß laufen hinterher! Ich ließ ihn den Baum heruntersteigen, um mich tiefer ins Gehölz zurückzuziehen. Um Mittag (sahe?) ich von der Höhe des Baums viele Haufen hergezogen kommen, aber alle in der regellosesten Unordnung. Soldaten von allen Waffenarten gingen miteinander, nirgends die Spur eines zusammengehaltenen Regiments oder Bataillons; Cuirassiere hatten Cuiras, Helm, den Mantelsack, und alle Waffen weggeworfen, nur ihre Spornen mochten ihnen unentbehrlich scheinen. Trainknechte jagten auf den Zugpferden davon; kanonen und Pulverwagen sah ich nicht. Einige Wagen voll Blessierter steckten im Schmutz, mit den Pferden waren die Gesunden entflohen. Ein lautes Rufen und Schreien ward von der Chauassee her gehört. Alles drängte vorwärts, niemand bemühte sich die Flüchtlinge zu sammlen. Eine solche Retirade sah ich nie, und nie hörte ich von einer ähnlichen in neuern Kriegen. Wie verfolgtes Wild suchte (jeder sein Heil?) in der Schnelligkeit (?). So war ich denn von der vollständigen Niederlage der Franzosen überzeugt.
Mit stolzen siegestrunkenen Augen sah ich auf die fliehende Menge herab! – Meine Phantasie versetzte mich unter den Jubel meiner verfolgenden Cameraden, meines geretteten Vaterlandes! – Nun danket alle Gott! Rief eine Stimme aus meines Innersten, und mit Inbrust folgte ich der süß gebietenden Pflicht.
Dort sitzt ein Bauer auf dem Baum! Riefen meine Preußen mir zu. Ich ging auf ihn zu, fragte wer er wäre? Und wohin er wolle? Er sey ein Waffenschmidt (Messerschmidt?), habe in Mobeuge [Maubeuge?] arbeiten wollen, aber nicht durchgekonnt. Er wolle die Retirade nur ein Bischen mit ansehn, und dann nach Hause zurück gehen. Er wohne vier Stunden von hier bei Philippville. Er sagte ferner, wir befänden uns in einem großen Walde, der sich bis Lille erstreckte. Er kenne jeden Weg und Steg; und alle Einwohner in der Gegend umher. Diese Nachrichten waren mir außerordentlich angenehm, doch ungern vernahm ich, daß der Arbeiter uns verlassen wollte. Er stellte mir vor, daß wenn die Franzosen ihn mit uns fänden, er mit uns massacriert würde. Nur war hier die Frage: (behalte?) ich (ihn?) mit Gewalt, (oder?) lasse ich ihn ziehn in Frieden! Im ersteren Falle, wenn ich seine Wegkunde benutzen wollte, könnte er, um sich zu rächen, uns den Franzosen in die Hände liefern. Im zweiten Falle, wenn er Bonapartist war, konnte er uns verrathen und Franzosen zu uns führen. Ich beschloß dem Mann seinen freien Willen zu lassen, und ihn nicht zu reizen. Er gab mir noch einige Notizen, und entfernte sich in großer Eile. Ich erstieg wieder einen Baum. Das Gewimmel auf der Landstraße wurde immer lebendiger, querfeldein in allen Richtungen sah ich sie, sich zerstreuen, und auf den Wald unten: Einige Besorgnis für unsere Sicherheit fing wieder an mich zu beunruhigen, denn, drängten (sone) Flüchtlinge oft gerade durch den Wald, so wäre es ein Wunder, wenn man uns nicht fände. Doch der Waldstrom schützte diesmal uns mit seinen Wogen, alle mußten über die Brücke, um ans andere Ufer zu gelangen, und so kam (keiner?) (?) ins Gebüsch.
Plötzlich wurde der Waffenschmidt zum zweiten Mal gesehn. Er sagte mir, er könne nicht durchkommen und wolle bis zum Abend bei uns bleiben und in der Nacht in seyn Dorf zurück gehen. Ich nahm ihm seinen Bauernkittel und seinen Hut ab, um mich damit zu verkleiden. Er schlug mir vor, mit ihm (allein?) seitwärts zu gehen, um die Gegend zu (rekognoszieren?) – Das man (?) so bald dem Mann zu (trauen?) wäre. Doch beschloß ich fürs allgemeine Beste es zu wagen. Ich ließ meine Preußen an der Holzhecke zurück, und ging über einen langen (Kamm?). Kaum hatte ich an jener Seite das Gebüsch erreicht, so sah ich meine Preußen mit Windeseile in das Thal hinunter laufen. Ich rief ihnen zu, sie antworteten nicht, und winkten mir abwärts mit den Händen. Vermutlich hatten sie Franzosen in der Nähe wahrgenommen. So war ich denn von allen übrig getrennt, mit meinem Waffenschmidt allein. Er lud mich ein ihm in sein Dorf zu folgen, und bei ihm zu bleiben, bis der erste Sturm vorüber sey. Ich nahm es an, und gegen Abend begaben wir uns auf die Wanderung. Es war schon Nacht, als wir dem ersten Dorf uns (näherten?). Mit Wachtfeuern war es rings umgeben, wobei französische Soldaten biwacquierten. Ich wollte dem Dorf aus dem Wege gehen, allein mein Führer versicherte, es unmöglich, weil ein großes Moor es umgäbe. Ich sollte nur (schlau/schnell?) mit ihm durch die Franzosen gehen, man würde mich für einen Bauern aus der Gegend halten und Niemand würde nach mir fragen. Ich befolgte seinen Rath und glücklich schlüpfte ich durch das Dorf. Um zwei Uhr in der Nacht kam ich endlich an, wo ich bleiben sollte. Mein Führer war nur Gesell und wohnte bei seinem Meister, darum brachte er mich vor eine ärmliche Hütte, die sein Bruder, der Schäfer des Pächters, mit der Familie bewohnte. Hier wurde ich ländlich gastfrei aufgenommen, nur hatte ich Mühe die Leute zu verstehn, denn sie redeten nicht rein französisch, sondern die Sprache der Wallonen, hier im Dorf war noch kein Flüchtling angekommen. Es wurde abgeredet, ich solle am Morgen mit den Schaafen (sic) in den Wald ziehn, und bei den Bauern würde man mich für einen Cousin ausgeben, der aus den Niederlanden angekommen sey. Nur eine Stunde sollte ich schlafen, die Tochter aus dem Hause sollte mich wecken, und mich dann begleiten. Der Vater wollte mir der Herde voran gehen. Wie ich erwachte, schien die Sonne hoch durchs einzige Fenster. Unwillig sprang ich auf, ich mußte die Ankunft der ersten Franzosen befürchten. Doch schnell löste der Zorn in mildes Lächeln sich auf. Vor mir stand eine schlanke Dirne , ländlich (festlich?), mit großen braunen Augen und angenehmen Zügen. Dies war nun meine Schäferin! Doch mir lag diesmal erst meine Sicherheit am Herzen. Ich fragte, ob man schon Franzosen gesehen hätte! Nein, mein Cousin, aber sie werden bald kommen. Ich wollte sie schon vor mehreren Stunden wecken, wohl zwanzig Mal streckte ich die Hand aus, sie zu ermuntern und jedesmal zog ich sie zurück, sie schienen gar zu süß zu schlummern, es war mir ganz unmöglich sie zu stören. Ich gab ihr meinen Dank für diese naive Äußerung ihres Wohlwollens zu erkennen. Einen Theil meiner Kleider hatte ich schon gewechselt, sie gar mir einen Ranzen, einen Hund an die Kette, eine Schäferstab, und so wanderten wir dem Walde zu. Nach einer Stunde hatten wir den Vater mit den Schaafen gefunden. Das Mädchen nahm Abschied, und versprach, mich gegen Abend wieder abzuholen. Im Schatten eines Baumes bei meiner Herde gelagert, ließ ich die Begebenheiten der vergangenen Tage nachsinnend an mir vorüberziehn. Aus des Krieges (rasenden?) Getümmel sah ich auf einmal mich in des tiefsten Friedens ruhige Beschäftigung versetzt; dieselbe Hand, die noch von wenig Tagen in der Schlacht den Säbel schwang, hielt nun den frommen Hirtenstab. Ich konnte selbst nicht anders, als mein Geschick belächeln, das einen rumbegierigen Krieger so plötzlich in einen frohen Schäfer umgewandelt. Ich hütete die Schaafe jetzt mit derselben Sorgsamkeit, wie früher die Soldaten von der Compagnie.
Gegen Mittag kamen die ersten französischen Flüchtlinge bei uns an. Sie waren so zerstört und furchtsam, daß sie kaum sich umzusehen wagten. Sie forschten nach den Wegen, die ich nach Gutdünken beschrieb, und unaufhaltsam eilten sie (weiter?). Es kamen noch einige nach (?) (wenige?) nur, die sich verirrt, denn das Dorf lag gänzlich abgelegen im Gebirge.
Gegen Abend sah ich meine Schäferin wieder zu mir kommen. Nun mein Cousin, haben sie ihr Tagewerk fröhlich vollbracht? Ja wohl liebe Cousine, die (Erinnerung? Erregung?) Sie am Abend wieder zu sehen, hat mich am Tage froh beschäftigt, so eilten wir unter Scherz und Lachen der Heimath zu. Den anderen Tage verlebte ich wie den vorigen in meiner Verkleidung. Gegen Abend wurde mir versichert, die Franzosen wären alle schon aus der Gegend, und Preußen hätten ihre Plätze eingenommen. Am andern Morgen nahm ich Abschied von dieser so armen als guten Familie. Ich hatte sie wegen ihre (sic) ungekünstelten Gutmüthigkeit recht lieb gewonnen. Diese Menschen hatten mir große Dienste geleistet, das gab ich ihnen dankbar zu erkennen. Meine Pflicht gebot, dem harmlosen Schäferleben den Rücken zu wenden, und wieder in das Waffengetümmel zurück zu eilen, diese ländlich schönen Rosen zu vertauschen mit der blutigen Gefahr. Ich machte mich auf den Rückweg nach Beaumont, wo ich mich an den General Thielemann wandte, der hier commandierte, um zu erfahren, wohin die englische Armee marschiert sey. Der General theilte mir mit, nach Mons zu gehen. Zwar nicht in Mons, doch 6 Stunden davon, vor den Thoren von Bavais, einem französischen Städchen, fand ich Leute von meinem Bataillon. Sie sagten mir, daß es in der Stadt einquartiert sey. Die letzten Kräfte, die mein mühseliger Marsch mir übriggelassen, wandte ich an meine Schritte zu verdoppeln. Schnell wollte ich über den Markt eilen, als der ganze hier einquartierte Rest von meiner Compagnie aus einem Hause stürtze, mich, den Todgeglaubten, zu (umzingeln?). Reichlich belohnte mich für alle überstandenen Gefahren und Beschwerden die Freude, die von edlen Gesichtern mir entgegen glänzte. Die Majors und die andern anwesenden Offiziere traf ich beim fröhlichen Mute. So führte mich das Schicksal nach sechs wechselvollen Tagen unter frohem Willkommen wieder bei den Meinigen ein.
v.d.H – St. Lieut. im Landw. Bataillon B….